Briefe aus der indischen Vergangenheit

Briefe aus IndienDie Landshuter Zeitung druckt im Jahr 1932 insgesamt sechs Reiseberichte ab, die meine Großmutter Editha Fritz-Wölfl von ihrer sechsmonatigen Reise aus Indien in die Heimat geschickt hat. In Landshut betreibt Editha eine ihrer beiden Tanzschulen. Ihre Schülerinnen und die interessierten Leser bekommen in den Berichten sehr bildhafte, bunte, beeindruckte und beeindruckende Eindrücke einer jungen Künstlerin, die ihren Lebenstraum erfüllt hat: Nach Indien, mit dem Schiff! Der Mann an ihrer Seite hat ihr die Hochzeitsreise in das exotische Land versprochen. Sie hat nicht lang überlegt und kurz vor der Abfahrt ihr Jawort gegeben. Fotos und Tagebuchaufzeichnungen berichten über die Eindrücke des jungen Ehepaars während der zweiwöchigen Überfahrt auf dem Luxusdampfer Strathnaver.

5. Februar 1932. Ankunft in Bombay, im heutigen Mumbai. Das Klima ist zu dieser Jahreszeit sehr angenehm. Am Pier wartet das Taxi, und Fritz-München und Editha fahren zu ihrer Unterkunft, dem noblen Hotel Taj Mahal, in dem Editha in einigen Tagen eigene Tanzkompositionen zum Besten geben soll.

Im Vorbeifahren bekommen sie erste Eindrücke von Bombay: Das Wahrzeichen der Stadt, das Gate of India. Die repräsentativen Gebäude, die die Engländer entlang der breiten Straßen in den letzten Jahrzehnten erbaut haben. Insgesamt fällt Editha das europäische Erscheinungsbild der Stadt auf. Sie berichtet erstaunt, aber nicht erschrocken von einer Parsen-Beerdigung in den „Türmen des Schweigens“, bei der Aasgeier die sterblichen Überreste des Leichnams zerfleddern. Von Ausflügen in den Dschungel hinter Bombay, in dem das Ehepaar einen dort lebenden Deutschen kennenlernt, der mit einer Inderin verheiratet ist und am Tag vorher einen Panther erlegt hat. Vom Deutschen Klub, dem Direktor der Krupp-Werke Indien und den beinahe pompösen Wohnungen der Europäer, ganz im Gegensatz zu den ärmlichen Verhältnissen, in denen die meisten Inder leben.

In der Landshuter Zeitung vom Frühjahr 1932 lesen wir also folgendes:

Landshuter Zeitung

Brief aus Indien

Frau Editha Fritz-Wölfl, unsere einheimische Tanzkünstlerin, sandte uns in liebenswürdiger Weise einen interessanten Brief von ihrer Indienreise, den wir nachfolgend veröffentlichen:

Bombay, 23. Februar 1932. Am 5. Februar verließen wir unseren schwimmenden Palast und betraten zum erstenmal Indiens braune Erde. Der Abschied vom Schiff wurde uns schwer, wir hatten so viel Herrliches gesehen, wohnten so prächtig und hatten viel liebe Menschen kennengelernt.

Das Abschiedsfest war noch ein prunkvoller Abschiedsball, bei dem höchste Aristokratie Old Englands prachtvolle Kostüme zeigte. Zur Prämierung der geschmackvollsten und eigenartigsten Masken waren zwei Damenpreise vorgesehen und ich bekam unter großem Jubel den 2. Preis als „boarischer Bua“ mit der Lederhose. Ich habe es den Engländern hoch angerechnet, daß sie mir, der einzigen Deutschen, den 2. Preis gaben. Zum Dank tanzte ich dann einen Original-Schuhplattler und hernach im entsprechenden Kostüm den Chrysanthmenwalzer. Ich habe selten solch enthusiastischen Beifall geerntet und hätte nie den Engländern diese Begeisterung zugetraut. Die Herzogin von Westminster lud uns zur Abendtafel. Es war ein stimmungsvoller Ausklang einer wundervollen Seereise.

Ansicht von BombayAber auch Bombay zeigte sich uns nur angenehm. Das Klima ist gegenwärtig sehr gesund. Es herrscht Hochsommertemperatur nach unseren Begriffen. Die Nächte sind kühl. Das Leben ist sehr teuer, man kann nur in ersten Hotels wohnen und muß immer mit Taxi fahren, denn man sieht kaum Europäer auf den Straßen. Bombay hat prächtige Bauten, macht aber trotz der verschiedenen einheimischen Winkel einen europäischen Eindruck. In einem herrlichen Park stehen die „Türme des Schweigens“. Es sind kreisrunde, große, weiße, flache Türme, inmitten ein kleines eisernes Tor. Ein weißer Leichenzug naht heran und durch die eiserne Tür wird der Leichnam auf die flache Terrasse des Turmes geschoben. Wildkreischend stürzen die mächtigen lauernden Aasgeier über den Toten her und in kürzester Zeit ist er bis auf das Knochengerüst vertilgt. Sonne und Wind zerstören das Übrige. So übergeben die Parsen ihre Toten der Vernichtung.

Gleich hinter Bombay beginnt der Dschungel. Panther, Wildschweine und giftige Riesenschlangen hausen in ihm. Auf guten Asphaltstraßen fährt man stundenlang durch diese Palmenwälder, in denen die primitivsten Menschen in elenden Lehmhütten hausen. An zwei Seen standen wir lange, die voll von Krokodilen sein sollen, aber nicht das Zipfelchen eines solchen Tieres wollte sich zeigen. Schließlich waren wir zu Gast bei einem Deutschen, der seit vielen vielen Jahren in den Dschungeln lebt, eine indische Frau und viele braune Kinder hat. Er hatte am Montag einen Panther erlegt und große Freude herrschte darob in der Siedlung. Im Deutschen Klub wurden wir herzlichst aufgenommen. Der Direktor der Krupp-Werke in Bombay lud uns sofort ein und seine reizende Frau und seine Schwägerin boten uns viel Freundschaft. Die Wohnungen der Europäer sind alle prächtig, beinahe pompös, aber gräßlich ist das Heer der „Boys“ – der einheimischen Diener. Sie sind alle Religionsfanatiker, gehören verschiedenen Kasten und Sekten an, und diese erlauben ihnen nur ganz begrenzte Arbeiten.

Und nun, da wir von Bombay weiterziehen, kommen Angebote von Engagements. Ich bin an vier Abenden im Taj Mahal Hotel aufgetreten mit je drei Tänzen. Die „Times of India“ schrieben viel Schmeichelhaftes. Ich könnte noch 14 Tage lang jeden Abend tanzen. Leider geht es aber nicht mehr, die heiße Jahreszeit kommt heran und wir wollen vorher noch die „Wunder“ von Indien kennenlernen. Morgen, am 24. Februar, geht es weiter mit der Eisenbahn nach Baroda. Dort bleiben wir einige Tag und dann fahren wir ca. 1000 Kilometer nach Agra, der Stadt der Märchenbauten, mit seinem „weißen Traum“, dem herrlichen Mausoleum Tadj Mahal. Von dort geht’s nach Delhi zur Hochsaison, wo alles, was Rang und Namen hat, sich gegenwärtig aufhält. Ich schreibe Ihnen auch von dort wieder, und grüße Sie, liebe „Landshuter Zeitung“ und alle meine lieben Gymnastikschülerinnen, groß und klein, recht herzlich! Auf Wiedersehen!

Frau Editha Fritz-Wölfl

Edithas Tanz im Hotel Taj Mahal

Eine Antwort zu “Briefe aus der indischen Vergangenheit

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