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Briefe aus der indischen Vergangenheit 3

In ihrem dritten Brief an die Landshuter Zeitung berichtet meine Großmutter Editha Fritz-Wölfl im Jahr 1932 von ihren Erlebnissen im „Märchenstaat“ Udaipur. Nach einer Audienz beim Maharana bekommt ihr Mann Hannes die Erlaubnis, den höchsten Maharajas Indiens zu porträtieren. Die beiden erleben Udaipur mit seinen Seen und Wasserpalästen als ein zweites Venedig und werden hofiert: Dem Maharana gefällt sein Porträt so gut, dass Hannes und Editha von nun an Staatsgäste sind und ein Auto, Pferde und Kamele ständig zur Verfügung haben. Editha genießt das koloniale Leben im traumhaften Indien, bis sie stark an Ruhr erkrankt. Die Hitze macht ihr schwer zu schaffen.

Ein erster Bericht nach Landshut spricht über die Überfahrt auf dem Luxusdampfer Strathnaver und die Ankunft in Bombay, zum ersten Mal auf „braunem indischen Boden“. In ihrem zweiten Brief aus Indien schreibt Editha über die Erlebnisse von Bombay nach Baroda, Ahmedabad und Mount Abu. Dort lernen Hannes und sie sie einen „Heiligen“ kennen, der ihnen die Zukunft präzise vorhersagt.

Brief aus Indien

Udaipur, 14. April 32.

Liebe „Landshuter Zeitung“!

Udaipur – ein erlebtes Märchen! Ein paar Tag wollten wir bleiben und fünf Wochen sind daraus geworden, eine unvergesslich schöne Zeit! Udaipur ist gebirgiges Land mit vielen, großen Seen. Die Struktur der Gegend ähnelt unseren Vorbergen, aber ach, das satte Grün, die schönen Wälder fehlen. Kakteen, Disteln, hohes, graues, hartes Gras, dazwischen einzelne hohe Dattelpalmen. Das ist die übliche Vegetation. Die Stadt Udaipur selbst liegt an einem sehr großen See, der durch viele Inseln belebt wird.

Ein zweites Venedig baut sich hier vor unseren Blicken auf. Herrliche Palastbauten aus blendend weißem Marmor umsäumen die Ufer des Sees, große, breite Marmortreppen führen in das Wasser, und schlanke Frauengestalten in bunt schillernden Gewändern steigen auf und nieder, am Kopf die hohen, bauchigen Messingkrüge mit Wasser tragend. Kunstvolle Torbauten beenden die langen, engen Straßenzeilen, architektonisch ein vollendet schönes Bild. Jede Insel und jedes Inselchen ist bebaut mit prächtigen Wasserschlössern und Tempeln, sogar üppig grüne Gärten sind hier angelegt. In Udaipur gibt es nichts Europäisches mehr, hier ist Indien unverfälscht in seinen Sitten, Gebräuchen und Festen. Das einzige Hotel liegt etwas abseits der Stadt; ist recht gut, aber einfacher wie die vergangenen.

Natürlich ist wieder der Mittelpunkt ein Maharadschah, der höchste aller indischen Fürsten, der „Sonnengott“. Sein Palast gehört zu den weitläufigsten aller Residenzen. Nicht weniger wie 2000 Zimmer und Säle sind vorhanden und in den Höfen des Palastes kann eine ganze Armee aufgestellt werden. So ist er wohl ein großer König – aber England wacht. Ein englischer Resident, einige hohe Verwaltungsbeamte und einige Offiziere kontrollieren den „Sonnengott“, wahrscheinlich nicht zu fühlbar und sehr vorsichtig, aber sicher sehr wachsam. Auch wir waren stets kontrolliert – wie wir später merkten – und zwar von beiden Seiten.

Bald nach unserer Ankunft gaben wir im Palast unser Empfehlungsschreiben ab und ersuchten um Audienz beim Maharadschah. Schon am anderen Tage empfing uns „His Highneß“. Wir wurden im Boot zu einem Wasserschloß gefahren, durchschritten unheimlich viel Spiegeltüren und standen plötzlich vor dem Maharadschah. Nur mühsam konnte ich meine Ueberraschung bemeistern, als ich den Gewaltigen sah – es war ein ganz kleines Männlein, sehr krank und leidend – Rückenmarklähmung. Um ihn sein Hofstaat, viele Würdenträger in den herrlichsten, buntseidenen Gewändern. Jede Nacht bewachen seinen Schlaf neun Edelleute.

Sein Vater hatte 89 Kinder, sein Großvater 365! Die Zahl der Frauen konnten wir nicht erfahren, ganz streng abgeschlossen ist die Zenana – der Frauen Gelaß. Die Frauen der vornehmen Kasten werden hier so furchtbar streng gehalten, dass selbst Schwiegereltern die Frau ihres Sohnes nicht unverschleiert sehen. Der Maharadschah war sehr liebenswürdig zu uns, er spricht fließend englisch. Zwei Tage später fuhr er in großer Begleitung bei unserem Hotel vor, um sich Bilder meines Mannes anzuschauen, und tags darauf gab er Auftrag, ihn zu malen. Die 1. Sitzung war am Karsamstag in einem Wasserschloß. Ich war allein im Hotel. Da fuhr ein Hofauto vor, „His Highneß bitte um mein Erscheinen“.

Im Palast wieder feierlicher Empfang. Dann eröffnete uns der Maharadschah, dass wir von diesem Tage an Gäste des Staates Udaipur seien. Das war eine feine Ueberraschung! Wir merkten auch gleich die Wirkung. Wir waren die einzigen Gäste im Hotel, die Leute erstarben in Unterwürfigkeit, die Dienerschaft vermehrte sich unheimlich und das angenehmste: ein herrliches Auto und Wagen und Pferde und Kamele und Elefanten standen jederzeit zur Verfügung. Auch das herrliche Schwimmbad im slave-girl-Garten, einem wundervollen Park, konnten wir jetzt benutzen. Inmitten eines sehr ausgedehnten Marmorbeckens steht ein kleiner Säulentempel, von dessen Dach ergießt sich das Wasser in starker Brause immerfort in das Bassin. So bleibt die Temperatur des Wassers immer angenehm kühl.

Und in all diese Herrlichkeit hinein wurde ich ganz plötzlich schwer krank, 40,5 Fieber – Ruhr. Krank im fremden Land und obendrein krank in den Tropen, das ist schlimm! Da kommt plötzlich wild das Heimweh; man hat nur den einen fixen Wunsch: heim! Aber auch das ging rasch vorüber und am dritten Tag war ich fieberfrei und es holten mich englische Freunde in ihren Bungalow, um mir absolute Ruhe und Diät verschaffen zu können. Ihr Haus hatte überall elektrische Ventilatoren …..

Fortsetzung folgt.

Die Unterstützung des Shriji

Regisseur Walter Steffen, mein Vater und ich trafen uns am 7. Mai 2010 in München mit dem Shriji Maharana von Udaipur. Er hatte der Hypo-Kunsthalle für die Maharaja-Ausstellung große Teile seines Palastmuseums zur Verfügung gestellt.

Wir berichteten ihm vom Filmprojekt „München in Indien“, das Walter Steffen über meinen Großvater Fritz-München plant. Da mein Großvater in den 1930er Jahren mehrere Wochen bei dem Maharana von Udaipur verbracht hatte und dort drei Bilder malte, darunter den Maharana selbst, ist der jetzige Maharana, sein Enkel, sehr interessiert daran, den Film zu sehen und bei ihm mitzuwirken. Freundlicherweise schrieb er kürzlich einen Empfehlungsbrief, mit dem er den Film unterstützt:

4. Juni 2010

Sehr geehrte Herren,

es war eine große Freude, Sie Anfang dieses Monats in München zu treffen und von ihrem Plan zu hören, einen Film zu machen über den Malerpionier Fritz-Munich, den verehrten Vater von Dr. Wolf D. Fritz, und über sein Werk in all den Fürstenhöfen Nordindiens in den 1930er Jahren.

Das Werk von Fritz-Munich in Indien ist heute größtenteils unbeachtet, und ich bin sicher, dass dieses Projekt mit seinem Fokus auf historische Nachforschungen und Beachtung von Tatsachen und Einzelheiten weit reichen wird, um seine Rolle als wichtigen Künstler seiner Zeit zu etablieren. Die enormen Ausmaße von originalem, bisher nicht verwertetem Archivmaterial, zu dem Sie Zugang haben, wird sehr wichtig sein, um das Klima zu verstehen, in dem Fritz-Munich arbeitete und um die Porträtmalerei in Indien weiter zu entwickeln.

Meine Familie und ich freuen uns auf die erfolgreiche Ausführung des Projekts und werden sehr gerne Teil des Films sein, wenn es dafür Notwendigkeit gibt. Außerdem werde ich mich bemühen, Sie den Nachfahren anderer Hauptmäzene von Fritz-Munich in Indien vorzustellen, nämlich den Familien der Maharajas von Faridkot, Kapurthala, Jaipur, Patiala und Mandi.

Ich freue mich auf die erfolgreiche Erfüllung des Projekts und biete Ihnen meine vollste Zusammenarbeit und Hilfe an.

Mit herzlichen Grüßen

Arvind Singh Mewar

(Maharana of Udaipur)

The Times of India

Sir Stanley Reed ist 1933 Herausgeber der Times of India, in den Kolonialzeiten die einflussreichste englischsprachige Zeitung Indiens oder „The most widely circulated newspaper in India, Burma & Ceylon or any other part of the East“, wie die Zeitung selbstbewusst in einer Anzeige schreibt. Fritz-München und Reed lernen sich kennen und schätzen. Reed lässt sich porträtieren und ist von dem Werk sehr angetan. So kommt es, dass die Bilder des deutschen Malers regelmäßig in der Times of India oder der Illustrated Weekly of India, einer Spezialausgabe der erstgenannten, veröffentlicht werden. Meist sind es Kreidezeichnungen von indischen Adligen oder englischen Regierungsbeamten, die nicht selten eine ganze Seite der Zeitung einnehmen.

Die Illustrated Weekly of India druckt am 25. März 1934 das Porträt der damals wohl schönsten Frau Indiens, Prinzessin Indira von Kapurthala. Fritz-München hat Anfang 1934 einige Wochen am Hofe ihres Vaters verbracht und fünf Bilder gemalt, darunter den Maharaja selbst, seine Lieblingsfrau und eben die Prinzessin. Die Zeitung bemerkt unter dem Porträt: Diese exzellente Studie der Prinzessin von Kapurthala wurde von Mr. Hanns Fritz angefertigt, ein deutscher Künstler aus München. Momentan reist er durch Indien und hat unter anderen kürzlich Ölgemälde vom Raja von Suket und Sir Abdul Hamid fertiggestellt. Dazu organisiert er eine Ausstellung seiner Werke im Maiden’s Hotel in Neu-Delhi. Der Vizekönig und Lady Willingdon besuchten die Ausstellung und gratulierten dem Künstler.

In einer weiteren Ausgabe der Zeitung veröffentlicht Fritz-München ein Foto, einen „happy snapshot“, das er von Indira und ihrer Schwester während einer Teeparty schießt.

Am 7. Januar 1934 hat die Zeitung bereits eine Zeichnung Fritz-Münchens von Sir James Fitzpatrick, dem Gouverneur der Punjab-Staaten veröffentlicht. Der Kommentator unter dem Bild schreibt, Sir Fitzpatrick sei von der Kreidezeichnung so begeistert gewesen, er hätte sie gleich vor Ort gekauft und den Künstler nach Lahore eingepackt, um nicht nur in Kreide, sondern in Öl verewigt zu werden. Fritz-München malt Fitzpatrick insgesamt drei Mal.

Der Herausgeber lässt sogar an den Vizekönig Lord Willingdon schreiben. In einem ‚very british‘ Brief, halb formwahrend und respektvoll, halb ironisch mit der Nonchalance eines Reporters bittet Reed, der Vizekönig möge sich doch von Hannes Fritz, dem „bekannten Porträtmaler aus München“ zeichnen lassen. Man würde gerne sein Konterfei in der Zeitung veröffentlichen. Es sei ihm klar, dass Zeitungsmenschen einfach nur ein „schreckliches Ärgernis“ seien, aber da er um die freundlichen Gefühle wisse, die der Vizekönig der Times of India gegenüber hegt, sei sein Terminkalender doch bestimmt bereit, eine Lücke zuzulassen. Er unterschreibt mit „Ihrer Exzellenz ergebener Diener“ und hofft, seine dringende Bitte nicht umsonst gemacht zu haben. Der Vizekönig allerdings hat anderes zu tun. Erst drei Jahre später darf Fritz-München ihn porträtieren, als er 1936 seine letzte Fahrt von Indien in die englische Heimat unternimmt: Als gerade abgelöster Vizekönig, nunmehr nur noch „Lord Willingdon“.

Der Hofmaler der Maharadschas 2

Fundstücke im silbernen Alukoffer. Sie zeigen, dass Hannes Fritz-München während seiner Zeit in Indien zwischen den Jahren 1932 und 1937 über 60 Persönlichkeiten des indischen und britischen Hochadels malt. Empfehlungsschreiben aus der Heimat, aber auch von den indischen Fürsten öffnen die sonst verschlossenen Türen der Paläste. Die Maharajas zeigen sich, wie hier der Maharana von Udaipur, von der Porträttechnik des europäischen Malers beeindruckt und stellen Kontakte zu vielen anderen der insgesamt mehr als 600 indischen Fürsten her. In Öl oder Kreide porträtiert Fritz-Munich die Menschen, die das öffentliche Leben Indiens in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg prägen und bestimmen.

Diese Reihe hofft Fritz-München zu schließen, als er im Jahr 1935 Mahatma Gandhi trifft. Er erbittet sich, ein Porträt des einflussreichsten Politikers des Landes zeichnen zu dürfen. Gandhi verwehrt ihm den Wunsch, da er sich nie malen lässt. „Ich aber erhielt seine Erlaubnis, ihn bei seinem täglichen Spaziergang mit seinen Nichten zu filmen und fotografieren, was mir auch gut gelang!“ schreibt der Maler in sein Tagebuch. Das Filmmaterial von über drei Stunden, mit dem Fritz-München Indien in jenen Jahren aufzeichnet, gibt aufschlussreiche Einsichten über das Leben am indischen und britischen Hofe, aber auch auf dem Land, in der Politik, Kultur und Gesellschaft.

Folgende indische Adlige porträtiert Fritz-München zwischen 1932 und 1937:

  1. Maharaja von Patiala
  2. Maharana von Udaipur (der „Sohn der Sonne“)
  3. Zeremonienmeister von Udaipur
  4. Krieger in Udaipur
  5. Maharaja von Bhavnagar
  6. Maharani von Bhavnagar
  7. Prinz von Bhavnagar
  8. Prinz von Bhavnagar, zweites Porträt
  9. Ministerpräsident von Bhavnagar
  10. Maharaja von Morvi
  11. Kronprinz von Morvi
  12. Raja von Mandi
  13. Kronprinz von Mandi
  14. Maharani von Mandi
  15. Prinzessin von Mandi
  16. Prinz von Mandi
  17. Maharani von Baroda
  18. Maharaja von Faridkot
  19. Prinz von Faridkot
  20. Prinzessin von Faridkot
  21. Präsident von Faridkot
  22. Kronprinz von Jind
  23. Raja von Jubbul
  24. Prinz Mahijit Singh von Kapurthala
  25. Prinz Amarjit Singh von Kapurthala
  26. Prinz Karamjit Singh von Kapurthala
  27. Prinz Jit Singh von Kapurthala
  28. Prinzessin Indira von Kapurthala
  29. Ministerpräsident von Kapurthala
  30. Thakore-Sahib von Palitana
  31. Rani von Palitana
  32. Prinz von Palitana
  33. Raja von Suket
  34. Rani von Suket
  35. Prinz von Suket
  36. Thakore-Sahib von Limbdi
  37. Nawab-Sahib von Loharu

Fritz-München porträtiert mehr als zwanzig britische Adlige, zu der damaligen Zeit Anglo-Inder genannt und in Indien tätig als Gesandte der Königin Victoria von Großbritannien, um den riesigen Kolonialstaat zu verwalten.

  1. Vizekönig von Indien, Lord Willingdon, Neu-Delhi
  2. Gouverneur von Bombay, Lord Brabourne
  3. Gouverneur von Kalkutta, Sir John Anderson
  4. Gouverneur von Madras, Lord Erskine
  5. Lady Marjerie Erskine, Madras
  6. Gouverneur von Western India States, Sir Courtenay Latimer in Rajkot
  7. Gouverneur von Pujab-Staaten, Sir James Fitz Patrik in Lahore
  8. Gouverneur von den Madras-Staaten, Sir C.P. Skrine in Trivandrum
  9. Finanzminister Sir James Grigg, Neu-Delhi
  10. Lady Grigg, Neu-Delhi
  11. Justizminister von Indien, Sir B. L. Mitter, Neu-Delhi
  12. Justizminister von Burma, Sir Arthur Page
  13. Justizminister von Bombay, Sir John Beaumont
  14. Justizminister von Ceylon (heute Sri Lanka), Sir Abraham
  15. Hon. Mr. Justice Cornish, Madras
  16. Lordbischof von Kalkutta, Right Rev. Fr. Westcott
  17. Besitzer der „Times of India“, Sir Stanley Reed, Bombay
  18. Generalmajor Sir Bernhard James, Neu-Delhi
  19. Herr von Selzam, Deutscher Konsul in Kalkutta
  20. Frau von Selzam, Kalkutta
  21. Sir Eduard Buck, Neu-Delhi
  22. Hon. Mr. Justice H. D. Cornish, Madras
  23. Sir Bernard Darley, Bahawalpur
  24. Lt.-Colonel Stehen, Poona
  25. Sir E. Miller, Neu-Delhi

Wir wissen nicht, wo der Großteil dieser Porträts verblieben ist. Vermutlich hängen die meisten der indischen Porträts noch in den Palästen der Nachkommen der damaligen Maharajas. Die Suche wird Thema des Dokumentarfilms „München in Indien“ sein.

Fundstücke

Ein silberfarbener Blechkoffer auf dem Dachboden. Viele Aufkleber darauf, meist Einfuhrgenehmigungen vom Zoll aus den 1930er Jahren. In diesem Koffer existiert eine eigene Welt, die ich erst vor kurzem entdecken durfte: Hunderte handgeschriebene Briefe, Zeitungsartikel aus den 1920er bis 1930er Jahren, über 1200 Fotos, Negative, die noch nicht abgezogen sind, viele Stunden Filmrollen, eine Straßenkarte aus dem Jahr 1934. Dieser ganze Schatz berichtet vom Lebensereignis meiner Großeltern, dem Maler Hannes Fritz-München und der Tänzerin Editha Fritz-Wölfl. Indien, von 1932 bis 1937.

Fotos von Mahatma Gandhi, den Fritz-München 1935 trifft und während seines Morgenspaziergangs mit seinen Nichten begleiten darf. Fotos des englischen Vizekönigs. Fotos der Hochzeit eines jungen Rajas, sein Gesicht zur Hälfte mit Goldketten behängt. Fotos von Menschen der verschiedensten Volksgruppen mit ihren traditionellen Trachten und Sitten.

Faszinierend für mich als Enkel, nach all den Jahren und dem Tod von beiden Großeltern nun diesen Schatz zu entdecken, zu erforschen und zu lesen. Bilder einer längst vergangenen Zeit, Aufnahmen vom Inneren der Maharaja-Paläste, von Gesichtern, die das Leben geprägt hat. Unweigerlich kommt da die Frage auf: Lebt das Mädchen aus dem Himalaya wohl noch, das Fritz-München 1933 fotografiert hat? Was ist aus ihrem Leben geworden? Was ist aus all den Palästen geworden, in denen meine Großeltern zu Gast waren? Wo sind all die Ölgemälde, die Fritz-München gemalt hat? Warum war es der Lebenstraum meiner Großeltern, nach Indien zu reisen? Warum gerade Indien?

Briefe aus der indischen Vergangenheit 2

Während der Hochzeitsreise nach Indien im Jahr 1932 berichtet die Tänzerin Editha Fritz-Wölfl immer wieder der heimatlichen „Landshuter Zeitung“ von ihren aufregenden Abenteuern im Lande der Maharajas und Elefanten. Sie ist gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Maler Fritz-München, von Europa aus losgezogen, um fremde Welten zu erobern. Ein erster Bericht nach Landshut spricht über die Überfahrt auf dem Luxusdampfer Strathnaver und die Ankunft in Bombay, zum ersten Mal auf „braunem indischen Boden“.

In ihrem zweiten Brief aus Indien schreibt Editha über die Erlebnisse von Bombay nach Baroda, einer sauberen und europäisierten Stadt mit dem besten Museum Indiens. Von dort nach Ahmedabad, wo das junge Paar zu Gast bei reichen und sehr freundlichen Parsen ist. Bei einem Ausflug nach Mount Abu in 1500 Meter Höhe atmen sie frische, kühle Luft und sind beeindruckt von zwei der ältesten Tempeln Indiens. Dort lernen sie einen „Heiligen“ kennen, der ihnen die Zukunft vorhersagt.

Editha Fritz-Wölfl berichtet aus Indien

Brief aus Indien

Udaipur, 20. März 32.

Liebe Landshuter Zeitung!

Ich gedachte Ihnen aus Delhi oder aus dem Himalaya-Gebiet wieder zu schreiben, nun haben wir aber erst den halben Weg nach dort zurückgelegt. Es hat uns so viel Schönes aufgehalten, daß wir gerne die große Hitze noch etwas ertragen.

Am 24. Febr. verließen wir Bombay und fuhren in 9 Stunden nach Baroda. Die Gegend war meist trostlos, Sand, Staub, manchmal unterbrochen von Palmen- und Kakteenwäldern. Die Hitze tötet fast jegliche Vegetation, was übrig bleibt ist Staub. Baroda ist eine schöne, große, sehr sauber gehaltene Stadt, stark europäisiert. Der Markt bietet ein buntes, wildbewegtes Bild. Der Lärm ist ohrenbetäubend wie überall im Süden. Wir waren ausgezeichnet und entzückend im „Guesthous Baroda“ untergebracht. Man wohnt in kleinen Häusern inmitten eines herrlichen Gartens. Hier blühten die herrlichsten Orchideen und wundervoll bunte Vögel saßen in den Palmen. Eine Menge Papageien und Affen sorgte für Unterhaltung und besonders letztere sind zu witzig. Baroda besitzt das wertvollste Museum des Landes. Wir lernten den Curator desselben kennen, einen hochgebildeten feinen Inder, der sich um uns annahm und uns viel zu sich in seinen vornehmen Bungalow (Villa) einlud.

Er zeigte uns auch das Innere des herrlichen Palastes des Maharadschas. „His Highneß“ – so werden die Maharadschas angesprochen – ist schon 1 Jahr lang in Europa und ist einer der reichsten Fürsten Indiens. Seine Schatzkammer, welche wir zu sehen bekamen, birgt unerhörte Werte. Unbeschreiblich ist die Pracht der Edelsteine und Perlen. Die Staatskarosse ist aus purem Gold, ebenso die Festgeschirre der Elefanten. Eine eigene Kompagnie Soldaten bewacht den Palast Tag und Nacht. Hier begegneten wir auch zwei Deutschen – Innenarchitekten, welche den Auftrag haben, den Palast ganz zu renovieren. Sie verschafften uns eine Einladung zu einem großen Gartenfest, welches der „Prince“ als Vertreter des Maharadschas einer politischen Konferenz zu Ehren gab. Es war hochinteressant für uns.

Hier bin ich auch zum erstenmale auf einem Elefanten geritten. Diese vornehmsten Tiere Indiens gehören zu den unentbehrlichsten Repräsentationsobjekten. Der Maharadschah von Baroda besitzt ungefähr 20 Elefantenhäuser und ca. 60 ausgesuchte Prachtexemplare. Später in Udaipur sahen wir ein Elefantenrennen. Es war ein mächtiger Anblick, wie die großen Tiere immer zu dreien um die Bahn sausten. Entzückend waren drei Elefantenbabys, welche auch mittaten. Plötzlich streifte eines davon, machte kehrt, streckte das Schwänzchen steil in die Luft und schrie herzzerreißend.

Interessant war ein Autoausflug. Ein indischer Großgrundbesitzer nahm uns mit zur Inspektion seiner Ländereien. Wir durchfuhren viele Wüstenstrecken und wurden in seinen Dörfern mit viel Feierlichkeit empfangen. Trommelwirbel kündigte uns an, das Volk mit seinen bunten Gewändern lief mit wahnsinnigem Geschrei zusammen; Tänze, Ansprachen wurden gehalten und im größten Meierhof wurden wir endlos bewirtet und schließlich mit Blumengirlanden behängt. Viele von den Leuten hatten noch nie „Weiße“ gesehen; sie belagerten uns richtig, die Frauen meist ganz verschleiert. Da kam auch ein Hochzeitspaar, wir konnten Aufnahmen davon machen. Die schwarzbraune Braut trug unbändig stolz ihr ganzes Vermögen zur Schau in Form von Schmuck an Händen, Armen und Füßen, sogar durch die Nase hatte sie einen Goldreif gesteckt. Die linke Hand war vielleicht mit 50 Ringen bespickt, sie konnte die Finger nur mehr gespreizt halten, denn bis an die Fingerspitzen saßen die Ringe aus Gold, Silber und Elfenbein.

Anfangs März fuhren wir nach Ahmedabad und waren dort Gäste von einem jungen Parsenpaar. Sie hatten als Hochzeitsgabe eine große, herrlich eingerichtete Villa mit allen modernsten europäischen Errungenschaften mitbekommen. Fast aller Großhandel in Indien liegt in den Händen der Parsen. Sie sind alle sehr reich und freigebig. Die schönsten öffentlichen Bauten Bombays stammen aus ihren Spenden. Sie sind Feueranbeter und übergeben ihre Leichen – wie schon mitgeteilt – den Geiern zum Fraß. Wir wollten nur zwei Tage bleiben, es ist eine Woche daraus geworden. In Ahmedabad besichtigten wir einige herrliche Hindutempel. Sinnverwirrend ist die Steinornamentik all dieser Säulen, Hallen und Decken. Eine einzige Säule ist oft mit 2-3000 kleinen Figuren geschmückt, alles in Marmor gehauen. In käfigartigen Nischen stehen die Götterbilder – meist scheußliche Fratzen. Die Brahmanen (Priester) und die Leute beten laut und singend. Sie bilden dabei aus Reis Figuren, ein richtiges Hakenkreuz, einen Halbmond und immer drei Punkte darüber. Groß ist die Zahl der grausig verstümmelten Bettler. Da und dort saßen und standen in der Sonnenglut Yogins, das sind freiwillige Büßer. Sie sind ganz mit Asche bestreut, zum Teil kahl geschoren und verharren bewegungslos in den verrücktesten Stellungen.

Von Ahmedabad fuhren wir einige Tage ins Gebirge nach Mount Abu, 1500 Mtr. hoch. Wie atmeten wir auf in der wesentlich viel frischeren Luft und wie großartig ist hier die Landschaft! Das Lavagestein zeigt die bizarrsten Gebilde, dazwischen Palmen – wie Bilder aus der Bibel. Hier hausen viele wilde Tiere, die Schluchten und Höhlen mit all dem Gestrüpp sind gute Schlupfwinkel für Bären und Leoparden. Mount Abu ist bekannt wegen zwei der schönsten und ältesten Tempel aus dem Jahre 1032. Ganz aus Marmor, sind die Decken und Wände wie mit Spitzen bedeckt. Man findet keine Worte ob all dieser hoch stehenden Kunst! Neben diesen Tempeln fanden wir einen Heiligen, zu dem täglich Hunderte pilgern und dem selbst die wilden Tiere, bei denen er in Höhlen lebt, untertan sein sollen. Er war über Deutschland genau unterrichtet, sprach von den kommenden Wahlen, dass es nicht viel besser werde, dass aber auch keine blutige Revolution käme. Dagegen wachse sich der Krieg China-Japan zu einem großen Weltkrieg aus, der viele Jahre dauern wird. Richtig erholt und gestärkt zogen wir weiter, besichtigten Polanpur und landeten am 17. März in Udaipur. Udaipur, ein rein indisches Märchen, ein zweites Venedig, an einem großen See gelegen.

Mit vielen Grüßen an Landshut Ihre

Frau Editha Fritz-Wölfl

Der Kronprinz und der Maler

Kronprinz Rupprecht von Bayern und Fritz-München haben mindestens eine Gemeinsamkeit: Das Interesse an fremden Kulturen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hat Seine Königliche Hoheit Indien bereist und seine Eindrücke in einem viele Kapitel umfassenden Buch festgehalten. Rupprecht berichtet über die sozialen, religiösen und politischen Verhältnisse des Märchenlandes. Im Jahr 1932 hat mein Großvater Fritz-München vor, sich auf ähnliche Reisewege auf dem Subkontinent zu begeben. Der Monarch findet Gefallen am Stil und Werk des Künstlers und lässt ihm ein Empfehlungsschreiben für die Vorhaben in Indien zukommen. Da Fritz-München sich auf der ersten Überfahrt nach Indien für einen Maskenball als Pflastermaler verkleidet und die Konterfeis der anwesenden Maharajas zur allgemeinen Begeisterung auf den Teppich des Schiffssalons skizziert, ist möglicherweise die Empfehlung des Kronprinzen für die weiteren Malerfolge von Fritz-München nicht allzu notwendig.

Besuch des Kronprinzes Rupprecht im Atelier von Fritz-MünchenDie beiden, den bayerischen Monarchen und den Maler aus der Kurpfalz, verbindet aber eine innere Freundschaft, die sie über viele Jahre pflegen. Rupprecht findet mehr und mehr Gefallen an der Kunst von Fritz-München. Fritz-München wiederum ist glücklich, auch in der Heimat die ersehnte Aufmerksamkeit eines Mitglieds des Hochadels zu erhalten.

Der Wittelsbacher besucht den Maler einige Male in seinem Münchner Atelier, wenn er aus Indien zurück ist, und begutachtet die Schätze, die Fritz-Munich von Indien nach Deutschland verschifft hat. Neben Jagdtrophäen, Bronzearbeiten und wertvollen Teppichen dürften besonders die Portraits der exotischen Fürsten das Interesse von Rupprecht wecken. Fritz-München gratuliert dem Kronprinzen zum Neuen Jahr, der Kronprinz erwidert die Glückwünsche mit einem persönlichen, handgeschriebenen Brief. Jahre später gratuliert er zum zweiten Sohn und besucht den Künstler mehrmals in seinem zweiten Atelier am Starnberger See.

Der Kronprinz und der Maler – eine Verbindung von Monarch und Künstler, die seit Jahrhunderten immer wieder eine gewisse Bedeutung zu haben scheint.

Briefe aus der indischen Vergangenheit

Briefe aus IndienDie Landshuter Zeitung druckt im Jahr 1932 insgesamt sechs Reiseberichte ab, die meine Großmutter Editha Fritz-Wölfl von ihrer sechsmonatigen Reise aus Indien in die Heimat geschickt hat. In Landshut betreibt Editha eine ihrer beiden Tanzschulen. Ihre Schülerinnen und die interessierten Leser bekommen in den Berichten sehr bildhafte, bunte, beeindruckte und beeindruckende Eindrücke einer jungen Künstlerin, die ihren Lebenstraum erfüllt hat: Nach Indien, mit dem Schiff! Der Mann an ihrer Seite hat ihr die Hochzeitsreise in das exotische Land versprochen. Sie hat nicht lang überlegt und kurz vor der Abfahrt ihr Jawort gegeben. Fotos und Tagebuchaufzeichnungen berichten über die Eindrücke des jungen Ehepaars während der zweiwöchigen Überfahrt auf dem Luxusdampfer Strathnaver.

5. Februar 1932. Ankunft in Bombay, im heutigen Mumbai. Das Klima ist zu dieser Jahreszeit sehr angenehm. Am Pier wartet das Taxi, und Fritz-München und Editha fahren zu ihrer Unterkunft, dem noblen Hotel Taj Mahal, in dem Editha in einigen Tagen eigene Tanzkompositionen zum Besten geben soll.

Im Vorbeifahren bekommen sie erste Eindrücke von Bombay: Das Wahrzeichen der Stadt, das Gate of India. Die repräsentativen Gebäude, die die Engländer entlang der breiten Straßen in den letzten Jahrzehnten erbaut haben. Insgesamt fällt Editha das europäische Erscheinungsbild der Stadt auf. Sie berichtet erstaunt, aber nicht erschrocken von einer Parsen-Beerdigung in den „Türmen des Schweigens“, bei der Aasgeier die sterblichen Überreste des Leichnams zerfleddern. Von Ausflügen in den Dschungel hinter Bombay, in dem das Ehepaar einen dort lebenden Deutschen kennenlernt, der mit einer Inderin verheiratet ist und am Tag vorher einen Panther erlegt hat. Vom Deutschen Klub, dem Direktor der Krupp-Werke Indien und den beinahe pompösen Wohnungen der Europäer, ganz im Gegensatz zu den ärmlichen Verhältnissen, in denen die meisten Inder leben.

In der Landshuter Zeitung vom Frühjahr 1932 lesen wir also folgendes:

Landshuter Zeitung

Brief aus Indien

Frau Editha Fritz-Wölfl, unsere einheimische Tanzkünstlerin, sandte uns in liebenswürdiger Weise einen interessanten Brief von ihrer Indienreise, den wir nachfolgend veröffentlichen:

Bombay, 23. Februar 1932. Am 5. Februar verließen wir unseren schwimmenden Palast und betraten zum erstenmal Indiens braune Erde. Der Abschied vom Schiff wurde uns schwer, wir hatten so viel Herrliches gesehen, wohnten so prächtig und hatten viel liebe Menschen kennengelernt.

Das Abschiedsfest war noch ein prunkvoller Abschiedsball, bei dem höchste Aristokratie Old Englands prachtvolle Kostüme zeigte. Zur Prämierung der geschmackvollsten und eigenartigsten Masken waren zwei Damenpreise vorgesehen und ich bekam unter großem Jubel den 2. Preis als „boarischer Bua“ mit der Lederhose. Ich habe es den Engländern hoch angerechnet, daß sie mir, der einzigen Deutschen, den 2. Preis gaben. Zum Dank tanzte ich dann einen Original-Schuhplattler und hernach im entsprechenden Kostüm den Chrysanthmenwalzer. Ich habe selten solch enthusiastischen Beifall geerntet und hätte nie den Engländern diese Begeisterung zugetraut. Die Herzogin von Westminster lud uns zur Abendtafel. Es war ein stimmungsvoller Ausklang einer wundervollen Seereise.

Ansicht von BombayAber auch Bombay zeigte sich uns nur angenehm. Das Klima ist gegenwärtig sehr gesund. Es herrscht Hochsommertemperatur nach unseren Begriffen. Die Nächte sind kühl. Das Leben ist sehr teuer, man kann nur in ersten Hotels wohnen und muß immer mit Taxi fahren, denn man sieht kaum Europäer auf den Straßen. Bombay hat prächtige Bauten, macht aber trotz der verschiedenen einheimischen Winkel einen europäischen Eindruck. In einem herrlichen Park stehen die „Türme des Schweigens“. Es sind kreisrunde, große, weiße, flache Türme, inmitten ein kleines eisernes Tor. Ein weißer Leichenzug naht heran und durch die eiserne Tür wird der Leichnam auf die flache Terrasse des Turmes geschoben. Wildkreischend stürzen die mächtigen lauernden Aasgeier über den Toten her und in kürzester Zeit ist er bis auf das Knochengerüst vertilgt. Sonne und Wind zerstören das Übrige. So übergeben die Parsen ihre Toten der Vernichtung.

Gleich hinter Bombay beginnt der Dschungel. Panther, Wildschweine und giftige Riesenschlangen hausen in ihm. Auf guten Asphaltstraßen fährt man stundenlang durch diese Palmenwälder, in denen die primitivsten Menschen in elenden Lehmhütten hausen. An zwei Seen standen wir lange, die voll von Krokodilen sein sollen, aber nicht das Zipfelchen eines solchen Tieres wollte sich zeigen. Schließlich waren wir zu Gast bei einem Deutschen, der seit vielen vielen Jahren in den Dschungeln lebt, eine indische Frau und viele braune Kinder hat. Er hatte am Montag einen Panther erlegt und große Freude herrschte darob in der Siedlung. Im Deutschen Klub wurden wir herzlichst aufgenommen. Der Direktor der Krupp-Werke in Bombay lud uns sofort ein und seine reizende Frau und seine Schwägerin boten uns viel Freundschaft. Die Wohnungen der Europäer sind alle prächtig, beinahe pompös, aber gräßlich ist das Heer der „Boys“ – der einheimischen Diener. Sie sind alle Religionsfanatiker, gehören verschiedenen Kasten und Sekten an, und diese erlauben ihnen nur ganz begrenzte Arbeiten.

Und nun, da wir von Bombay weiterziehen, kommen Angebote von Engagements. Ich bin an vier Abenden im Taj Mahal Hotel aufgetreten mit je drei Tänzen. Die „Times of India“ schrieben viel Schmeichelhaftes. Ich könnte noch 14 Tage lang jeden Abend tanzen. Leider geht es aber nicht mehr, die heiße Jahreszeit kommt heran und wir wollen vorher noch die „Wunder“ von Indien kennenlernen. Morgen, am 24. Februar, geht es weiter mit der Eisenbahn nach Baroda. Dort bleiben wir einige Tag und dann fahren wir ca. 1000 Kilometer nach Agra, der Stadt der Märchenbauten, mit seinem „weißen Traum“, dem herrlichen Mausoleum Tadj Mahal. Von dort geht’s nach Delhi zur Hochsaison, wo alles, was Rang und Namen hat, sich gegenwärtig aufhält. Ich schreibe Ihnen auch von dort wieder, und grüße Sie, liebe „Landshuter Zeitung“ und alle meine lieben Gymnastikschülerinnen, groß und klein, recht herzlich! Auf Wiedersehen!

Frau Editha Fritz-Wölfl

Edithas Tanz im Hotel Taj Mahal

Die Reise in tausendundeine Nacht

Januar 1932, an Bord der Strathnaver. Der Maler Hannes Fritz-München ist frisch vermählt mit der Tänzerin Editha Wölfl. Kurz vorher, bei der standesamtlichen und eher nüchternen Trauung, haben die Beiden den überraschten Eltern mitgeteilt, am kommenden Morgen nach Marseille aufzubrechen. Dort würde ein Ozeandampfer für die Überfahrt nach Indien warten, allerdings auch nicht alle Ewigkeit.

Die Fahrt verläuft ruhig von Marseille über den Suezkanal und den Sudan nach Bombay und dauert 14 Tage. Zeit genug, um sich mit den anderen Passagieren im Swimmingpool, beim Federball, Tischtennis oder Kartenspiel auszutauschen. Einige Tage vor Ankunft in Indien findet ein Maskenball statt. Editha tanzt als bayerischer Bua mit Lederhosen einen Schuhplattler und wird mit dem 2. Preis gekürt. Aus ihren Briefen an ihre Eltern ist ersichtlich, dass sie sich über diese Auszeichnung sehr freut, da sie ihr als der einzigen Deutschen von einer rein englischen Jury überreicht wird. Fritz-München skizziert auf den Teppich im Salon den anwesenden Maharaja von Burdwan. Mit klaren Strichen erfasst er in Minutenschnelle den Charakter des untersetzten Herrschers, sodass ihm der Applaus und die Bewunderung der Partygäste sicher ist. Der Maharaja von Burdwan ist es auch, der ihm die ersten wertvollen Kontakte zu anderen Fürstenhöfen in Indien herstellt und noch Jahre später mit Fritz-München eine enge Freundschaft pflegt.

Editha beschreibt die Erlebnisse in einem Brief an ihre Eltern in München:

„Außer uns ist noch ein Hochzeitspaar an Bord: Der Earl und die Comtess of Jersey! Ebenso der Maharaja von Burdwan. Er gab uns wertvolle Tips für unsere zukünftige Reise. Natürlich gab es auch einen Fancidress-Ball. Hans maskierte sich als Londoner Pavement-Painter. Er sah furchtbar aus, warf sich im Salon vor jedem auf den Bauch und skizzierte ihn mit ein paar Strichen auf den Teppich, selbst den Maharaja von Burdwan! Ich hatte als Bayerischer Bua eine Lederhose an und legte einen original Schuhplattler aufs Parkett. Tosender Beifall!“

Die Überfahrt ist angenehm, interessant und erfolgreich. Was wird das junge Künstlerpaar in Indien erwarten? Über einige der Erlebnisse von Fritz-München und seiner Frau hat die Münchner Abendzeitung im März 2010 in einem spannend geschriebenen Artikel berichtet.

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Die Tänzerin

Die Hochzeitsreise meiner Großeltern führt sie im Jahr 1932 nach Indien. Mein Großvater, der Maler Hannes Fritz-München lernt die überwältigenden Farben des exotischen Landes kennen, meine Großmutter als Tänzerin und Tanzlehrerin beobachtet fasziniert  die ursprünglichen Volkstänze und Rhythmen der Himalaya-Völker. Es gibt Erzählungen, dass Editha auch deshalb Hannes ihr Versprechen gegeben hat, weil er ihr wiederum Indien versprochen hat. Ob ihr Motiv nun Abenteuerlust oder wahre Liebe ist – die 23-Jährige Künstlerin ist jedenfalls wild entschlossen und will die Welt bereisen.

Geboren 1909, macht Editha Fritz-Wölfl ihre Ausbildung in expressionistischem Tanz Ende der 1920er Jahre in der Münchener Tanzschule von Frances Metz, Zeitgenosse und Stilkollege von Mary Wigman. Sie schließt die Schule mit Auszeichnung ab und ist als 20-Jährige bereits Leiterin und Lehrerin von zwei eigenen Tanzschulen in Landshut und München. Sie komponiert Tänze und gibt Prospekte heraus, die ihr Kundschaft vom fünfjährigen Mädchen bis zur 65-Jährigen Gesellschaftsdame sichern. Editha ist auf den Fotos mit mehreren Tänzerinnen die Dame in der Mitte.

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Editha tanzt seit dem Abschluss bei Frances Metz regelmäßig öffentlich. Die Münchner Illustrierte am Sonntag titelt am 22. Juni 1930 anlässlich ihres Auftritts im Deutschen Theater: „Ein schneidiges Mädel“.

Illustrierte am Sonntag, 1930

Der Journalist ist voller Bewunderung und schreibt beinahe entschuldigend:

„Mit dem Wort Mädel soll in diesem Fall alles andere nur nichts Herabsetzendes gedanklich verknüpft sein, denn es handelt sich um ein prächtiges Menschenskind, das sich seinen Platz im Leben mit fröhlichem Wagemut und viel Erfolg erkämpft hat.“

Der Artikel beschreibt die beiden Tanzschulen der jungen Künstlerin, lässt aber auch die öffentlichen Auftritte nicht außer Acht. Die Rezension des Chrysanthemenballs im Deutschen Theater ist allerdings weniger am tänzerischen Können interessiert, als an einem Vorfall in der Garderobe kurz vor Edithas Auftritt:

„Über ihrer Schule vernachlässigt sie auch nicht das eigene Können. Die Besucher des Chrysanthemenballes werden sich der auf dem vier Meter hohen Blütenstengel thronenden Chrysantheme wohl noch erinnern. Es war Editha Wölfl, die übrigens an diesem Abend eine der schwersten Stunden ihres Lebens durchmachte. Während in gespannter Erwartung alles im Saale des Deutschen Theaters auf den Beginn des Festspieles wartete, fieberte Editha Wölfl, als Hauptbeteiligte, in ihrer Garderobe hilflos und ratlos.

Alles war da.

Die Kinder waren bereit, die Musik war da, das Publikum war gespannt, sie selbst war in voller Bereitschaft, nur – das Kleid fehlte, das Kleid, das sie als Chrysantheme zeigen sollte und das eigens für diesen Abend komponiert war.

Über eine halbe Stunde mußte die Aufführung verzögert werden.

Wir wollen nicht verraten, wie viel rote Köpfchen und Köpfe es an diesem Abend gab, aber so gepuppert hat kein Herz sicher an diesem Abend vor Aufregung, wie das von Editha Wölfl, die sich im Stich gelassen fühlte von ihrer Schneiderin. Daß sie, als nach dieser entsetzlichen halben Stunde endlich das Kleid kam, ihren Tanz vorbildlich absolvierte, beweist, was in ihr steckt.“

Puppernde Herzen und Blütenstengel! Das Deutsche Theater zu München im Jahr 1930. Auf dem Ovalbild ist ein Porträt zu sehen, das Hannes Fritz-München von ihr gemalt hatte, bevor sie heirateten und ihr künstlerisches Glück im fernen Osten suchten. Fritz-München hatte zu jenem Zeitpunkt bereits mehrere Studienreisen Richtung Westen absolviert. Die Illustrierte am Sonntag bemerkt:

„Das Ovalbild von Fräulein Wölfl ist die Reproduktion eines Gemäldes von Hans Fritz, einem Schüler von Gröber und Herterich. Der talentvolle Künstler hat durch große Reisen nach Brasilien, Argentinien, Spanien und in die Schweiz Gesichtskreis und Können in erfreulicher Weise erweitert.“