In ihrem dritten Brief an die Landshuter Zeitung berichtet meine Großmutter Editha Fritz-Wölfl im Jahr 1932 von ihren Erlebnissen im „Märchenstaat“ Udaipur. Nach einer Audienz beim Maharana bekommt ihr Mann Hannes die Erlaubnis, den höchsten Maharajas Indiens zu porträtieren. Die beiden erleben Udaipur mit seinen Seen und Wasserpalästen als ein zweites Venedig und werden hofiert: Dem Maharana gefällt sein Porträt so gut, dass Hannes und Editha von nun an Staatsgäste sind und ein Auto, Pferde und Kamele ständig zur Verfügung haben. Editha genießt das koloniale Leben im traumhaften Indien, bis sie stark an Ruhr erkrankt. Die Hitze macht ihr schwer zu schaffen.
Ein erster Bericht nach Landshut spricht über die Überfahrt auf dem Luxusdampfer Strathnaver und die Ankunft in Bombay, zum ersten Mal auf „braunem indischen Boden“. In ihrem zweiten Brief aus Indien schreibt Editha über die Erlebnisse von Bombay nach Baroda, Ahmedabad und Mount Abu. Dort lernen Hannes und sie sie einen „Heiligen“ kennen, der ihnen die Zukunft präzise vorhersagt.
Brief aus Indien
Udaipur, 14. April 32.
Liebe „Landshuter Zeitung“!
Udaipur – ein erlebtes Märchen! Ein paar Tag wollten wir bleiben und fünf Wochen sind daraus geworden, eine unvergesslich schöne Zeit! Udaipur ist gebirgiges Land mit vielen, großen Seen. Die Struktur der Gegend ähnelt unseren Vorbergen, aber ach, das satte Grün, die schönen Wälder fehlen. Kakteen, Disteln, hohes, graues, hartes Gras, dazwischen einzelne hohe Dattelpalmen. Das ist die übliche Vegetation. Die Stadt Udaipur selbst liegt an einem sehr großen See, der durch viele Inseln belebt wird.
Ein zweites Venedig baut sich hier vor unseren Blicken auf. Herrliche Palastbauten aus blendend weißem Marmor umsäumen die Ufer des Sees, große, breite Marmortreppen führen in das Wasser, und schlanke Frauengestalten in bunt schillernden Gewändern steigen auf und nieder, am Kopf die hohen, bauchigen Messingkrüge mit Wasser tragend. Kunstvolle Torbauten beenden die langen, engen Straßenzeilen, architektonisch ein vollendet schönes Bild. Jede Insel und jedes Inselchen ist bebaut mit prächtigen Wasserschlössern und Tempeln, sogar üppig grüne Gärten sind hier angelegt. In Udaipur gibt es nichts Europäisches mehr, hier ist Indien unverfälscht in seinen Sitten, Gebräuchen und Festen. Das einzige Hotel liegt etwas abseits der Stadt; ist recht gut, aber einfacher wie die vergangenen.
Natürlich ist wieder der Mittelpunkt ein Maharadschah, der höchste aller indischen Fürsten, der „Sonnengott“. Sein Palast gehört zu den weitläufigsten aller Residenzen. Nicht weniger wie 2000 Zimmer und Säle sind vorhanden und in den Höfen des Palastes kann eine ganze Armee aufgestellt werden. So ist er wohl ein großer König – aber England wacht. Ein englischer Resident, einige hohe Verwaltungsbeamte und einige Offiziere kontrollieren den „Sonnengott“, wahrscheinlich nicht zu fühlbar und sehr vorsichtig, aber sicher sehr wachsam. Auch wir waren stets kontrolliert – wie wir später merkten – und zwar von beiden Seiten.
Bald nach unserer Ankunft gaben wir im Palast unser Empfehlungsschreiben ab und ersuchten um Audienz beim Maharadschah. Schon am anderen Tage empfing uns „His Highneß“. Wir wurden im Boot zu einem Wasserschloß gefahren, durchschritten unheimlich viel Spiegeltüren und standen plötzlich vor dem Maharadschah. Nur mühsam konnte ich meine Ueberraschung bemeistern, als ich den Gewaltigen sah – es war ein ganz kleines Männlein, sehr krank und leidend – Rückenmarklähmung. Um ihn sein Hofstaat, viele Würdenträger in den herrlichsten, buntseidenen Gewändern. Jede Nacht bewachen seinen Schlaf neun Edelleute.
Sein Vater hatte 89 Kinder, sein Großvater 365! Die Zahl der Frauen konnten wir nicht erfahren, ganz streng abgeschlossen ist die Zenana – der Frauen Gelaß. Die Frauen der vornehmen Kasten werden hier so furchtbar streng gehalten, dass selbst Schwiegereltern die Frau ihres Sohnes nicht unverschleiert sehen. Der Maharadschah war sehr liebenswürdig zu uns, er spricht fließend englisch. Zwei Tage später fuhr er in großer Begleitung bei unserem Hotel vor, um sich Bilder meines Mannes anzuschauen, und tags darauf gab er Auftrag, ihn zu malen. Die 1. Sitzung war am Karsamstag in einem Wasserschloß. Ich war allein im Hotel. Da fuhr ein Hofauto vor, „His Highneß bitte um mein Erscheinen“.
Im Palast wieder feierlicher Empfang. Dann eröffnete uns der Maharadschah, dass wir von diesem Tage an Gäste des Staates Udaipur seien. Das war eine feine Ueberraschung! Wir merkten auch gleich die Wirkung. Wir waren die einzigen Gäste im Hotel, die Leute erstarben in Unterwürfigkeit, die Dienerschaft vermehrte sich unheimlich und das angenehmste: ein herrliches Auto und Wagen und Pferde und Kamele und Elefanten standen jederzeit zur Verfügung. Auch das herrliche Schwimmbad im slave-girl-Garten, einem wundervollen Park, konnten wir jetzt benutzen. Inmitten eines sehr ausgedehnten Marmorbeckens steht ein kleiner Säulentempel, von dessen Dach ergießt sich das Wasser in starker Brause immerfort in das Bassin. So bleibt die Temperatur des Wassers immer angenehm kühl.
Und in all diese Herrlichkeit hinein wurde ich ganz plötzlich schwer krank, 40,5 Fieber – Ruhr. Krank im fremden Land und obendrein krank in den Tropen, das ist schlimm! Da kommt plötzlich wild das Heimweh; man hat nur den einen fixen Wunsch: heim! Aber auch das ging rasch vorüber und am dritten Tag war ich fieberfrei und es holten mich englische Freunde in ihren Bungalow, um mir absolute Ruhe und Diät verschaffen zu können. Ihr Haus hatte überall elektrische Ventilatoren …..